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Essstörungen und Social Media

Essstörungen sind in der Bevölkerung weitverbreitet und eine ernstzunehmende Krankheit, die mitunter lebensgefährlich werden kann. Nach Suchterkrankungen zählen sie zu den häufigsten psychischen Erkrankungen mit tödlichem Verlauf (Mushtaq et al., 2023). Immer mehr Menschen, zunehmend jüngere, sind davon betroffen und einer der Gründe für diese Entwicklung ist Social Media. Dieser Artikel behandelt, welche Rolle Social Media bei der Entstehung von Essstörungen spielt und die häufigsten Formen essgestörten Verhaltens sowie der Einfluss der sozialen Medien werden beleuchtet. Schließlich werden Wege aufgezeigt, wie soziale Netzwerke positiv genutzt werden können.

Essstörungen und Social Media

Was macht Essstörungen aus und wer ist betroffen?

Ein schlanker Körper scheint in der heutigen Gesellschaft eines der höchsten Güter zu sein und das Streben, diesem Ideal zu entsprechen, kann fast als „kollektive Besessenheit“ (Biedert, 2008) bezeichnet werden. Seit Jahrzehnten ist die sogenannte „Diet Culture“ (dt. Abnehmkultur) vorherrschend, die Dünnsein über alles stellt. Eine Gewichtsabnahme ist immer positiv zu bewerten und schlanke Körper werden mit Gesundheit und Disziplin gleichgesetzt. Ein ganz anderes Thema sind hingegen dicke Körper, die in den Augen der Diet Culture ausnahmslos etwas Negatives sind, das es zu ändern gilt und wofür sich geschämt werden soll (Fitterman-Harris et al., 2023).

Der Druck, sich diesem Diktat zu unterwerfen, führt dazu, dass Essstörungen weltweit zu den häufigsten mentalen Erkrankungen gehören (Hay et al., 2023). Sie sind mit starkem psychischem Stress sowie negativen Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit verbunden und treten oft zusammen mit Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen und Substanzmissbrauch auf (Biedert, 2008). Häufig beginnen sie schon in jungen Jahren und chronifizieren sich in vielen Fällen (Hay et al., 2023). Die Rolle sozialer Medien bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Bewältigung von Essstörungen und ihr Einwirken auf Kinder und Jugendliche wird dabei oft unzureichend diskutiert (Peter & Brosius, 2020).

Momentane Entwicklungen

Der Entstehungsprozess ist komplex und nie monokausal, denn es sind psychische, biologische und soziale Faktoren, die zusammenkommen und so problematisches Essverhalten begünstigen (Schweitzer, 2024). Die Pubertät etwa und damit einhergehend ein sich verändernder Körper ist eine risikobehaftete Zeit (Biedert, 2008). Ausnahmesituationen und starke mentale Belastungen lassen das Risiko für Essstörungen ebenfalls steigen. Das zeigte die Corona-Pandemie: In dieser Zeit stieg die Zahl der Neuerkrankungen um 15%. Parallel erhöhte sich die auf Social Media verbrachte Zeit stark (Schweitzer, 2024).  

Die meisten Essstörungen treten zwischen 12 und 19 Jahren auf (Schweitzer, 2024), obwohl die Zahlen je nach Erhebung leicht variieren. In den vergangenen Jahren sind Betroffene immer jünger geworden; in einigen Studien ist sogar von 8-Jährigen die Rede (Hay et al., 2023). Ursprünglich galten Essstörungen als Krankheit junger, weißer Frauen und folglich waren diese lange Zeit Zentrum der Forschung (Mikhail & Klump, 2020). Auch wenn diese Gruppe weiterhin am stärksten betroffen ist, machen junge Männer mittlerweile ein Viertel aller Neuerkrankungen aus (Hay et al., 2023). Zudem leiden auch Frauen mittleren Alters und BIPoC-Frauen (Black, Indigenous and People of Color) an Essstörungen (Mikhail & Klump, 2020; Thompson et al., 2023). Insgesamt zeigt die Studienlage eine steigende Inzidenz (Hay et al., 2023).

Was sind die häufigsten Formen?

Anorexia Nervosa

An Anorexie-Erkrankte versuchen, ihr Gewicht extrem zu reduzieren und sind stark auf ihren Körper fixiert (Biedert, 2008). Die Krankheit vermittelt ein Gefühl von Disziplin und Kontrolle und erweist sich als Schutzmechanismus für psychische Probleme. Die Körperform wird dabei moralisch aufgeladen: Nur wer dünn ist, ist schön und wertvoll (Mayr, 2023).

Bulimia Nervosa

Bulimie ist durch wiederholtes Überessen und dem Gefühl, nicht mit dem Essen aufhören zu können, gekennzeichnet. Zur Gewichtskontrolle werden danach Maßnahmen ergriffen, wie Erbrechen oder die Einnahme von Abführmitteln (Biedert, 2008).

Das Krankheitsbild ist mit großer Scham verbunden, weswegen Patient:innen oftmals jahrelang mit der Krankheit leben, ohne sich jemandem anzuvertrauen (Mayr, 2023). Ihr Gewicht liegt häufig im Normalbereich, wodurch die Krankheit lange unbemerkt bleibt (Biedert, 2008).

Binge-Eating-Störung

Bei der Binge-Eating-Störung werden große Mengen an Essen konsumiert, bis ein schmerzhaftes Völlegefühl entsteht. Nach den Essanfällen empfinden Betroffene oft Scham und Ekel. Im Gegensatz zur Bulimie wird jedoch nichts unternommen, um die Kalorienaufnahme auszugleichen (Biedert, 2008).

Nicht näher bezeichnete/atypische Essstörungen

Diese Kategorie ist eine Zusammenfassung aller Essstörungen, die nicht eindeutig als Anorexie, Bulimie oder Binge-Eating-Störung klassifiziert werden können und auch sonst keiner anderen psychischen Störung entsprechen. Diese Krankheitsbilder waren bislang nicht Gegenstand umfangreicher Untersuchungen (Hay et al., 2023), stellen jedoch die häufigste Form von Essstörungen dar (Biedert, 2008).

Körperdysmorphie und Orthorexia Nervosa

Die Körperdysmorphie und Orthorexie gelten nicht als Essstörungen im klinischen Sinne, finden hier aber Erwähnung, da beide durch Körperideale und Social Media beeinflusst werden.

Bei der Körperdysmorphie beschäftigt man sich obsessiv mit dem eigenen Erscheinungsbild und nimmt seinen Körper stark verzerrt wahr (Cororve & Gleaves, 2001). Das „Körperbild“ beschreibt dabei die Wahrnehmung, Gedanken und Emotionen zum eigenen Körper. Wie die eigene Figur bewertet wird, hängt meist davon ab, inwieweit man gesellschaftlichen Normen entspricht. Diese Ideale werden im Laufe des Lebens erlernt und internalisiert (Jiotsa et al., 2021).

Orthorexie bezeichnet die übermäßige Beschäftigung mit gesundem Essen und oftmals ist das gesamte Denken davon beherrscht (Yurtdaş-Depboylu et al., 2022). Diese Ernährungsweise wird vielfach als bewundernswert empfunden und erhält viel Zuspruch. Dementsprechend wird orthorektisches Essverhalten lange nicht als problematisch erkannt (Brügger, 2021).

Einfluss von Social Media

Die starke Einflussnahme von Social Media beruht auf der Art und Weise, wie Inhalte auf diesen Plattformen erstellt und konsumiert werden. Drei Merkmale sind wesentlich:

1. Visuelle Reize

Bei Social-Media-Content steht Visuelles im Vordergrund, was bedeutet, dass Bilder und wenig Text die meiste Aufmerksamkeit generieren. Folglich ist das Aussehen Zentrum der Aufmerksamkeit (Saul et al., 2022) und je mehr Inhalt visueller Natur ist, desto mehr Risikofaktoren für Essstörungen weisen Nutzer:innen der jeweiligen Plattform auf (Yurtdaş-Depboylu et al., 2022).

2. Verbreitung von Inhalten

Postings in den sozialen Medien können in kürzester Zeit weltweit verbreitet werden. Dabei entstehen eigene Schönheits- und Ernährungsnormen, die in der Allgemeinbevölkerung nicht beobachtbar sind, sich jedoch bei beeinflussbaren Personen ins echte Leben übersetzen und so ungesunde Verhaltensweisen fördern (Chung et al., 2021).

Ein weiteres Thema ist der Algorithmus auf Plattformen wie Instagram oder TikTok. Wer mehrmals mit bestimmtem Content interagiert, bekommt bald ausschließlich Beiträge dieser Art angezeigt (Schweitzer, 2024). So entsteht eine Welt, die sich wie eine Echokammer verhält. Diese bildet eine verzerrte Realität ab – wird aber als „echt“ empfunden (Saul et al., 2022).

Content auf Social-Media-Plattformen ist permanent verfügbar und gefährdete Personen können sich triggernde Inhalte ununterbrochen ansehen. Einige Patient:innen berichten davon, den ganzen Tag über Essensvideos anzuschauen, um sich wortwörtlich „satt zu sehen“ (Mayr, 2023).

3. Digitale Verbindungen

Digitale Kommunikation findet viel schneller und mit mehr Reichweite als bei Interaktionen mit persönlicher Anwesenheit statt (Chung et al., 2021). Online werden oft extreme Meinungen vertreten und Nutzer:innen erhalten Zugang zu Gruppen, Ideen und Einstellungen, die sie außerhalb der sozialen Medien nie kennengelernt hätten (Saul et al. 2022). Das wäre zunächst neutral zu bewerten, birgt jedoch die Gefahr für junge Menschen, die bereits ein problematisches Verhältnis zu Essen haben, mit Inhalten in Berührung zu kommen, die diese Beziehung noch verschlechtern.

Einer der Gründe, Beiträge zu teilen, ist die Rückmeldung anderer. Ziel dieser Selbstdarstellung ist es, positives Feedback und Likes zu bekommen, oft auch hinsichtlich des eigenen Aussehens (Saul et al., 2022). Dies kann zu einer Quelle der Selbstkritik werden, wenn die erwartete Anerkennung ausbleibt (Wunderer et al., 2020).

Studien zeigen, dass Jugendliche, die sich nur durch die Bestätigung anderer positiv wahrnehmen können, anfälliger dafür sind, ein gestörtes Essverhalten zu entwickeln (Schweitzer, 2024). Je stärker die persönliche und emotionale Involviertheit in Selfies, desto höher ist dieses Risiko. Fotos des eigenen Körpers können als eine Art „Body Checking“, also das Bewerten und Kontrollieren des eigenen Körpers, fungieren (Saul et al., 2022).

Wer regelmäßig gewichtsbezogene Themen auf Social Media konsumiert und viel postet, neigt eher dazu, die Nahrungsmittelzufuhr einzuschränken. Onlineverhalten hängt demnach stark mit Symptomverhalten zusammen (Wunderer et al., 2020).

Welche Rolle spielt Social Media bei der Entstehung von Essstörungen?

Verspüren Menschen negative Gefühle, wenn sie keinen regelmäßigen Zugriff auf ihre Accounts haben, spricht man von Social-Media-Sucht. In einer Studie hatten 40 % der Befragten Anzeichen einer Essstörung sowie Social-Media-Sucht (Mushtaq et al., 2023). Dagegen wird ein gutes Körperbild mit geringem Suchtpotenzial für soziale Netzwerke in Verbindung gebracht (Yurtdaş-Depboylu et al., 2022). Folglich besteht ein Zusammenhang zwischen der Nutzung von sozialen Medien und gestörtem Essverhalten (Holland & Tiggemann, 2016).

Bei einer Umfrage zeigte sich, dass die Hälfte der Mädchen und 45 % der Buben, die regelmäßig Social Media nutzen, zumindest eine essgestörte Verhaltensweise aufwiesen, z. B. Mahlzeiten auslassen, sehr wenig essen oder Binge Eating (Wilksch et al., 2019). Je mehr Zeit sie auf Social Media verbrachten, desto ausgeprägter waren die Symptome (Kim & Mackert, 2022).

Social-Media-Plattformen

Die negativen Folgen Social Medias sind meist nicht auf eine einzige Plattform zurückzuführen, sondern entstehen durch die kombinierte Nutzung verschiedener Apps. Die Präferenzen für Social-Media-Plattformen und das Nutzungsverhalten ändern sich schnell, doch die vergangenen Jahre zeigen, dass vor allem bildbasierte Plattformen großen Zulauf erfahren (Thompson et al. 2023).

Derartige Apps, wie Instagram, Snapchat oder TikTok, stehen mit essgestörten Gedanken und Verhaltensweisen in Zusammenhang. Mit der Anzahl der genutzten Social-Media-Accounts steigt auch die Wahrscheinlichkeit für ungesunde Gedanken und Verhaltensweisen. Hingegen zeigen Jugendliche ohne Social-Media-Accounts deutlich weniger oder gar kein essgestörtes Verhalten, was solche Plattformen als Risikofaktor ausweist (Chung et al., 2021; Wilksch et al., 2019).

Wirkung auf Essstörungen

Dauernde Vergleichsmöglichkeiten

Soziale Vergleiche finden ständig und oft unbewusst statt. Beim Betrachten von Körperidealen in den Medien kommt es zu Aufwärtsvergleichen, bei denen die abgebildete Person als schöner und begehrenswerter als man selbst wahrgenommen wird, was Unzufriedenheit auslösen kann. Eine Tendenz zum Vergleichen ist dem Menschen inhärent, zeigt sich jedoch insbesondere auf bildbasierten Plattformen (Holland & Tiggemann, 2016; Peter & Brosius, 2020).

Unrealistische Ideale

Die angestrebten Ideale sind zumeist nicht erreichbar. Einerseits, weil Körper auf Social Media nicht repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung sind (Saul et al., 2022), andererseits, weil die Bilder nicht „echte“ Menschen abbilden, sondern oftmals nachbearbeitet wurden (Peter & Brosius, 2020).

Das führt zu der Entwicklung unrealistischer und ungesunder Ziele und dem Schluss, defizitär zu sein (Jiotsa et al., 2021). Das Streben nach weniger Gewicht steht über allem: In einem Artikel gaben über 90 % der befragten Frauen an, zumindest drei Dinge an ihrem Körper ändern zu wollen und dafür Maßnahmen zu ergreifen, wie eine extreme Diät (Aparicio-Martinez et al., 2019).  

Gefährlicher Content

Etwa die Hälfte der Kinder und Jugendlichen nutzt Social Media täglich,  manche bis zu 6 Stunden pro Tag (Mushtaq et al., 2023). Entscheidend für die negativen Auswirkungen von sozialen Medien ist dabei allerdings nicht nur die dort verbrachte Zeit, sondern auch, welche Inhalte die Nutzer:innen konsumieren (Sanzari et al., 2023).

Beim Medienkonsum unterscheidet man zwischen essstörungsspezifischen und -unspezifischen Inhalten. Ersteres richtet sich direkt an Essgestörte und beinhaltet etwa „Ratschläge“ zum Unterdrücken des Hungergefühls. Zweiteres, wie Informationen über Nährwerte, wirken für Gesunde neutral, können aber für gefährdete Menschen triggernd sein (Peter & Brosius, 2020).

Bilder, die explizit den Körper betonen, wie sogenannte „Fitspiration“ (Inspiration, „fit“ auszusehen) oder „Thinspiration“ (Inspiration, „dünn“ auszusehen) schaden Betrachter:innen, da sich bei Konsumierenden dieses Contents ein erhöhtes Risiko für Essstörungen zeigt. Postings dieser Art deuten häufig auf eine zugrundeliegende Essstörung der Account-Inhaber:innen hin, denn diese weisen zumeist selbst essgestörte Tendenzen auf (Sanzari et al., 2023; Saul et al., 2022).

Selbiges gilt für Themen rund um „Detox“ oder „Entgiftung“. Solche Inhalte sind besonders perfide, da sie vorgeben, glaubhafte Informationen zu Gesundheit und Langlebigkeit zu liefern. In Wahrheit propagieren sie meist nur gefährliche Methoden zur Gewichtsreduktion und verstärken essgestörte Gedanken (Mazzeo et al., 2024).

Pro-Ana (Pro-Anorexia) und Pro-Mia (Pro-Bulimia) Accounts sind eine weitere gefährliche Form essstörungsspezifischen Contents. Follower:innen solcher Profile tauschen Tipps zum Abnehmen, Verheimlichen von ausgelassenen Mahlzeiten etc. und bestärken sich untereinander in ihrem krankhaften Tun. Solche Communitys verstehen ihre Essstörung als Lebensstil und nicht als Krankheit. Verbindungen entstehen durch das Teilen gemeinsamer Erfahrungen, einschließlich des Essverhaltens. Betroffene finden hier einen Ort, an dem sie nicht verurteilt werden und sie treffen auf Gleichgesinnte. Solche Netzwerke fungieren identitätsstiftend und verstärken die Abgrenzung zur Außenwelt. (Chung et al., 2021; Saul et al., 2022).

Auswirkungen auf die Psyche

Selbstwertgefühl und Körperbild

Instagram und TikTok, die Jugendliche präferieren, führen durch die Nutzung mehrheitlich visueller Inhalte fast zwangsläufig zu Vergleichen. Zu erkennen, dass man nicht den Idealen entspricht, führt vielfach zu Körperunzufriedenheit, einem geringeren Selbstwertgefühl und in weiterer Konsequenz verschlechterter psychischer Gesundheit. Je häufiger diese Vergleiche stattfinden, desto stärker sinkt das Selbstbewusstsein (Jiotsa et al., 2021; Laughter et al., 2023). Eine obsessive Auseinandersetzung mit vermeintlichen Mäkeln verschlimmert sich durch exzessive Social-Media-Nutzung und kann ein Anzeichen für essgestörtes Verhalten sein (Laughter et al., 2023).

Der Konsum gewichts- und ernährungsbezogener Themen hängt mit geringerer Wertschätzung des eigenen Körpers und der Angst vor negativer Bewertung durch andere zusammen (Sanzari et al., 2023). Social Media bietet direkte Rückmeldungen und wenn ein Beitrag nicht die erhoffte Resonanz erhält, kann das dem eigenen Selbstbild schaden und Unzufriedenheit hervorrufen (Schweitzer, 2024).

Influencer:innen

Posts von Influencer:innen sind sehr einflussreich, da sie authentischer wirken als herkömmliche Werbung und zum Nachahmen einladen, wobei Follower:innen eine stark kuratierte Version präsentiert wird. Das kann für Kinder und Jugendliche problematisch sein, da sie im Vergleich vielfach schlechter abschneiden (Chung et al., 2021; Krapscha, 2023).

Ernährung und Sportverhalten, um wie die als Vorbild wirkenden Influencer:innen auszusehen, werden unreflektiert kopiert. Dabei wird nicht darüber nachgedacht, ob die Beiträge real oder größtenteils inszeniert sind (Peter & Brosius, 2020; Wunderer et al., 2020).

In den sozialen Netzwerken kursieren eine unüberschaubare Menge an Informationen über Ernährung und Diäten, die von vermeintlichen Expert:innen verbreitet werden und genau diese Inhalte sind unter gefährdeten Jugendlichen besonders beliebt. Es kann ihnen allerdings schwerfallen, zwischen Fakten und Falschinformationen zu unterscheiden (Kim & Makert, 2022; Yurtdaş-Depboylu et al., 2022).  

Aufklärung und Medienkompetenz

Ein Ansatz, um der negativen Einflussnahme von Instagram und TikTok entgegenzuwirken, ist Medienkompetenz. Diese will Skepsis gegenüber Botschaften auf Social Media schaffen und junge Menschen sollen so Resilienz für problematische Inhalte entwickeln. Eine Studie zur Förderung dieser Kompetenz zeigte, dass Teilnehmende nach der Intervention ein besseres Körperbild und Selbstbewusstsein hatten und weniger restriktiv in ihrem Essverhalten waren (McLean et al., 2017).

Medienkompetenz kann helfen, den Druck zu reduzieren, einem dünnen Körperideal entsprechen zu müssen (McLean et al., 2017). Diese Fähigkeit ist erlernbar, es bedarf allerdings Übung, um für die jeweilige Person schwierige Beiträge zuverlässig zu erkennen. Medienkompetenz hilft zudem, glaubwürdige Informationen von falschen zu unterscheiden und lässt ein Bewusstsein dafür entstehen, dass in sozialen Netzwerken eine retuschierte Realität gezeigt wird (Kaiser et al., 2024; Wunderer et al., 2020).

Statt komplett auf Social Media zu verzichten, sollte das Ziel eine Minimierung des negativen Einflusses sein. Betroffene Jugendliche werden diese Plattformen weiterhin nutzen, da sie eine zentrale Rolle in ihrem sozialen Leben spielen. Zudem verhindert eine völlige Aufgabe sozialer Medien, jemals eine gesunde Beziehung zu Instagram und Co. zu entwickeln (Mazzeo et al., 2024).

Potenzial von Social Media

Wie stark rezipierte Inhalte mit tatsächlichen Verhaltensweisen zusammenhängen, ist bekannt, findet in der Psychotherapie jedoch kaum Erwähnung (Wunderer et al., 2020). Social Media in der Bewältigung von Essstörungen auszuklammern, verkennt dabei potenzielle Chancen für den Heilungsprozess.

Pro-Recovery

Als Gegenbewegung zu Pro-Ana/Mia-Accounts haben sich Pro-Recovery-Accounts etabliert, die auf fast allen gängigen Plattformen zu finden sind. Diese Communitys legen den Fokus auf das Gesundwerden und sind eine gute erste Anlaufstelle, um die Hemmschwelle für die Suche nach professioneller Hilfe zu senken (Au & Cosh, 2022). Positive Erfahrungsberichte von anderen können motivieren und zeigen, wie ein Leben nach der Krankheit aussehen kann (Peter & Brosius, 2020).

Mitglieder schätzen den Austausch und die Gespräche mit Menschen, die Ähnliches durchmachen, sehr. Die Communitys agieren über Ländergrenzen hinaus und erlauben so den Kontakt zu Betroffenen, deren Form der Essstörung kaum präsent ist im Diskurs um essgestörtes Verhalten. Das trifft z. B. auf Anorexie-Erkrankte zu, die kein Untergewicht haben, oder Personen, deren Essanfälle nicht „schlimm“ genug sind, um als Binge zu gelten. In diesen Foren werden ihre Gefühle anerkannt und validiert. Eine stärkere Thematisierung auch weniger bekannter Formen wäre wünschenswert, damit Betroffene ihr Leiden als ernst genommen empfinden und Hilfsangebote in Anspruch nehmen (Au & Cosh, 2022).

Feed kuratieren

Außerdem ist es wichtig, den eigenen Social-Media-Konsum zu reflektieren und bewusst auf den ausgespielten Content zu achten (Saul et al., 2022). Indem Betroffene ihren Feed kuratieren und aktiv mit Beiträgen interagieren, die dem Heilungsprozess zuträglich sind, kann man den Algorithmus trainieren (de Valle & Wade, 2022). Diverse Körperformen im Feed helfen, das dünne Ideal infrage zu stellen und eine andere Definition von Schönheit zuzulassen (Mazzeo et al., 2024).

Die meisten Plattformen haben mittlerweile Hashtags wie #ProAna oder #Thinspiration blockiert und auch die Anzeige von Likes eingeschränkt. Leider erweisen sich solche Maßnahmen größtenteils als ineffektiv. Auch eine Mindestaltersgrenze ist leicht zu umgehen und trägt wenig dazu bei, der Glorifizierung von Essstörungen Einhalt zu gebieten (Mazzeo et al., 2024). Bis diese Probleme gelöst sind, ist vorerst Selbstinitiative gefragt.

Tipp!

Screen Time Apps wie Opal können helfen, einen Überblick über die auf diversen Apps verbrachte Zeit zu bekommen und den Zugriff auf Apps zeitweise komplett einzuschränken, um Kontrolle zurückzuerlangen.

Body Positivity und Body Neutrality

Das Konzept von „Body Positivity“ entwickelte sich aus dem Wunsch, alle Körperformen als schön zu bewerten. „Body Neutrality“ dagegen will den Körper als moralisch wertfrei betrachten und in seiner Funktionalität schätzen (Sanzari et al., 2023). Auf Social Media lässt sich eine Vielzahl solcher Beiträge finden, die Körperakzeptanz schaffen wollen.

Ob Body-Positivity-Beiträge tatsächlich hilfreich sind, ist allerdings uneindeutig, da die Ergebnisse je nach Studie variieren (Sanzari et al., 2023). Zudem rücken solche Posts erneut das Aussehen und den Körper in den Vordergrund (Mazzeo et al., 2024).

Die Body-Positivity-Bewegung steht ferner in der Kritik, sich von ihrem ursprünglichen Ziel entfernt zu haben. Die Bewegung entstand, um marginalisierte Körper schwarzer Frauen zu ermächtigen und Körperformen abseits westlicher Schönheitsnormen sichtbar zu machen. In den sozialen Medien wird der Hashtag #BodyPositivity allerdings von weißen und weitestgehend schlanken Frauen dominiert. Entgegen ihrer Intention schaden diese Posts der Wahrnehmung des Körperbildes und stellen vor allem auch eine kulturelle Aneignung einer Bewegung schwarzer Frauen dar (Mazzeo et al., 2024; Sanzari et al., 2023).

Dennoch ist es hilfreich, eine Vielfalt von Körperrepräsentationen zu sehen, um Schönheit neu zu lernen. Das kann allerdings auch unabhängig von dezidiert gekennzeichnetem Body Positivity Content erfolgen.

Fazit

In den vergangenen Jahren ist eine gefährliche Entwicklung von Essstörungen beobachtbar: Diese nehmen stetig zu und die Erkrankten werden Jahr für Jahr jünger. Soziale Netzwerke tragen ihren Teil bei, indem dort unrealistische Schönheitsideale präsentiert werden, die zu ständigen Vergleichen anregen. Zudem ist als kritisch einzustufender Content jederzeit verfügbar.

Dabei ist nicht nur der Konsum problematisch, sondern auch das Posten von Bildern. Es zeigt sich eine reale Übersetzung des online Rezipierten, insofern, als dort gesehene Schönheitsideale selbst angestrebt werden mithilfe ungesunder Methoden.

Soziale Medien sind Teil des Lebens junger Menschen, weswegen Medienkompetenz und ein bewusster Umgang mit Medieninhalten unumgänglich sind. Betroffene können online Hilfe erhalten und Ansprache finden. Durch einen diversen Feed kann Diet Culture verlernt und eigene, neue Definitionen etabliert werden, was es heißt, einen schönen und gesunden Körper zu haben.

Quellen

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Yurtdaş-Depboylu, G., Kaner, G. & Özçakal, S. (2022). The association between social media addiction and orthorexia nervosa, eating attitudes, and body image among adolescents. Eating And Weight Disorders - Studies On Anorexia Bulimia And Obesity, 27(8),3725–3735. https://doi.org/10.1007/s40519-022-01521-4

Zeit für Veränderung

Reißen wir die Mauern des Schweigens gemeinsam ein und schaffen eine inklusive Gesellschaft, in der psychische und physische Erkrankungen gleichermaßen akzeptiert und unterstützt werden.

Mag. Raphaela Vallon-Sattler
C.Mikes