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Ständige Erreichbarkeit
Alle paar Minuten greifen wir zu unseren Handys, Tablets oder Smartwatches, um Benachrichtigungen zu checken – seien es Social-Media-Nachrichten, SMS oder E-Mails. Wir sind gefühlt den ganzen Tag für die Menschen in unserem Umfeld erreichbar. Egal, ob für Familie, Freund:innen oder Studienkolleg:innen, innerhalb weniger Sekunden ist eine Antwort gesendet und der Kreislauf beginnt von vorn. Oft dehnt sich diese ständige Erreichbarkeit jedoch auch auf das Arbeitsleben aus. Arbeitgeber:innen und Kolleg:innen erwarten zunehmend Verfügbarkeit – selbst nach Feierabend oder am Wochenende, was nicht in Ordnung ist.
Ständige Erreichbarkeit – Definition
Unter ständiger Erreichbarkeit versteht man, dass Arbeitnehmer:innen für die Arbeitgeber:innen, Kund:innen oder Kolleg:innen außerhalb ihrer festgelegten Dienstzeit erreichbar sind. Egal, ob vor/nach der Arbeit, am Wochenende oder im Urlaub. Die Kontaktierung kann mittels Smartphone, E-Mail, Instant-Messages oder über andere Kommunikationstechnologien erfolgen (Hassler & Rau, 2016).
Eine Umfrage aus dem Jahr 2023 zeigte, dass über 80 % der Befragten außerhalb ihrer Arbeitszeit arbeitsbezogene Nachrichten erhalten. Dreiviertel von ihnen wurden täglich oder an manchen Tagen kontaktiert. Von den Befragten gaben 45 % an, dass sich diese ständige Erreichbarkeit negativ auf ihre Work-Life-Balance auswirkt (Eurofound, 2023).
Gründe für die ständige Erreichbarkeit
Bei der Veränderung der Arbeitswelt in den vergangenen Jahrzehnten spielten mehrere Faktoren für die Erreichbarkeit eine wichtige Rolle. Diese können in vier Dimensionen aufgeteilt werden:
Die Dimension des Handlungsspielraums
Der Handlungsspielraum von Beschäftigten hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Auf der einen Seite haben Arbeitnehmer:innen mehr Freiheiten und Autonomie, auf der anderen Seite stehen jedoch auch neue Arbeitsanforderungen und Einschränkungen.
Durch die Subjektivierung von Arbeit wird von Arbeitnehmer:innen nicht nur mehr Selbstständigkeit erwartet, sondern auch der verstärkte Einsatz persönlicher Ressourcen wie Kreativität, Empathie und Problemlösungsfähigkeit (Strobel, 2018).
Die technische Dimension
Durch die fortschreitende Digitalisierung in der Arbeitswelt werden Arbeitnehmer:innen zunehmend mit neuen Technologien konfrontiert. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), wie Laptop, Smartphone und Tablet, werden immer mehr zu unverzichtbaren Werkzeugen im Arbeitsalltag. Sie bieten zwar neue Kommunikationsmöglichkeiten, die eine ständige Erreichbarkeit erleichtern, gehen aber auch mit neuen Herausforderungen einher (Strobel, 2018).
Die zeitliche Dimension
Das Arbeitsleben wird zunehmend von einer Entgrenzung geprägt, das heißt, es kommt zu einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Arbeitnehmer:innen arbeiten flexibler und zeitlich unabhängiger als vor 20 Jahren. Das klassische Normalarbeitsverhältnis wird seltener, wodurch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmen (Strobel, 2018).
Die örtliche Dimension
Durch die technischen Möglichkeiten steigt auch die Flexibilität der Arbeit an. Es werden immer mehr Dienstreisen gemacht, und auch die Anzahl der Arbeiter:innen im Homeoffice hat sich in den vergangenen Jahren stark erhöht. Ein großer Anteil der Arbeit findet in einem virtuellen Raum statt und nicht mehr in Büroräumen (Strobel, 2018).
Diese genannten Dimensionen tragen dazu bei, dass Menschen heute oft das Gefühl haben, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen. Die ständige Erreichbarkeit kann jedoch negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer:innen haben (Park et al., 2019).
Gefahren von ständiger Erreichbarkeit:
Psychologische Folgen
Die Erwartung, ständig erreichbar zu sein, erschwert es den Betroffenen, sich in ihrer Freizeit von ihrem Arbeitsalltag zu lösen (Mellner, 2016). Diese psychologische Loslösung dient der Erholung und dem „mentalen Abschalten“. Wer abschalten kann, hat ein geringeres Risiko für Burn-out und fühlen sich weniger müde (Gaudiino & Stefano, 2021).
Nach dem Feierabend soll man sich nicht nur physisch von der Arbeit loslösen, sondern auch mental, das heißt man soll auch nicht daran denken (Sonnentag & Fritz, 2015). Durch die ständige Erreichbarkeit ist dieses Abschalten jedoch oft nicht möglich. Es fällt schwer, nicht an die Arbeit zu denken, wenn ununterbrochen die Benachrichtigungen überprüft werden und man für Anrufe verfügbar ist.
Gesundheitliche Folgen
Studien konnten zeigen, dass Menschen, denen dieses Abschalten gelingt, erholsamer schlafen und positivere Gedanken haben (Gaudiino & Stefano, 2021). Ständige Erreichbarkeit hingegen kann zu emotionaler Erschöpfung führen (Dettmers, 2017). Außerdem konnte auch ein Zusammenhang zwischen Stress, Unruhe, Rücken-, Magenschmerzen, Tinnitus und ständiger Erreichbarkeit gefunden werden, was zu vermehrten Krankenständen führen kann (Strobel, 2018).
Soziale Folgen
Ständige Erreichbarkeit und die daraus resultierende mangelnde Work-Life-Balance können das Sozialleben erheblich beeinträchtigen. Wenn Arbeitszeit in das Privatleben übergeht, werden Freizeitaktivitäten zunehmend eingeschränkt, was sowohl psychische als auch gesundheitliche Folgen nach sich ziehen kann (Strobel, 2018).
Muss ich immer erreichbar sein?
Für Arbeitnehmende gilt: Wenn du nicht explizit zur Rufbereitschaft verpflichtet bist, musst du nach Dienstschluss oder am Wochenende nicht erreichbar sein. Die Rufbereitschaft muss vertraglich vereinbart sein und auch dementsprechend entlohnt werden.
Auch im Urlaub muss man nicht erreichbar sein, es sei denn, es wurde vorher so vereinbart oder es handelt sich um einen berechtigten betrieblichen Notfall. Durch eine Übergabe an eine geeignete Vertretung kann ein ungestörter Urlaub garantiert werden. Wichtig: Fehlende Erreichbarkeit im Urlaub ist auch kein Kündigungsgrund.
Bei einem Krankenstand ist es ähnlich wie beim Urlaub, mit der Ausnahme, dass in den meisten Fällen keine Übergabe erfolgen konnte, da sich Krankheiten nicht im Vorhinein planen lassen. Grundsätzlich steht die Genesung an wichtigster Stelle, wenn jedoch Arbeitgeber:innen durch das Fehlen einer essenziellen Information einen wirtschaftlichen Schaden erleiden würden, kann eine Erreichbarkeit notwendig sein. Der/die Arbeitgeber:in muss dabei begründen, warum diese Information von keiner anderen Person geliefert werden und warum dadurch ein wirtschaftlicher Schaden entstehen kann (Taferner, 2018).
Tipps für den Umgang mit ständiger Erreichbarkeit
Welche Strategien und Möglichkeiten hat man als Arbeitnehmer:in, um mit der Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit besser umzugehen? Was kann man machen, um mögliche negative Auswirkungen dieser Erreichbarkeit zu verhindern?
Klare Regelungen zur Erreichbarkeit aufstellen
Arbeitnehmer:innen sollen gemeinsam mit den Vorgesetzten klare Regeln aufstellen, wann Arbeitnehmer:innen erreichbar sind und wann nicht. So kann zum Beispiel vereinbart werden, dass ab einer bestimmten Uhrzeit nach dem Feierabend oder am Wochenende keine E-Mails oder Anrufe mehr beantwortet werden.
Wichtig dabei ist, dass diese Regelungen tatsächlich eingehalten werden. Um das zu erreichen, können auch technische Hilfsmittel zurückgegriffen werden, die etwa das Empfangen von Benachrichtigungen ab einer gewissen Uhrzeit blockieren. Eine zweite Möglichkeit wäre, E-Mails, die über einen längeren Zeitraum nicht gelesen wurden, automatisch an eine Vertretung weiterzuleiten. Dadurch ist man etwa im Urlaub eher dazu bereit, wirklich abzuschalten und nicht ständig auf das Smartphone zu schauen, aus Angst, am ersten Arbeitstag von den vielen E-Mails erschlagen zu werden (Kosel, 2017).
Digital Detox
Bei einem Digital Detox handelt es sich um eine bewusste Auszeit oder Reduzierung von digitalen Medien und technischen Geräten. Der Sinn hinter dem bewussten Offline-Sein ist, Stress und Überforderung zu verringern und sich wieder mehr auf die analoge Umwelt zu konzentrieren.
Ein Digital Detox kann auch dabei helfen, gesündere Gewohnheiten zu entwickeln, die zu mehr innerer Ruhe und Ausgeglichenheit führen (Sharma & Sharma, 2024). Eine Möglichkeit, um die Bildschirmzeit in der Freizeit zu reduzieren, ist, Erreichbarkeitsfenster einzuplanen, zwischen denen man das Handy nicht verwendet (Gesundheitskasse, 2020).
Achtsamkeitstraining
Eines der Hauptziele von Achtsamkeitstraining ist die Verbesserung der Aufmerksamkeit. Durch eine verbesserte Aufmerksamkeit kann die Konzentrationsfähigkeit während der Arbeitszeit gesteigert werden und auch das Abschalten nach dem Feierabend fällt leichter (Althammer et al., 2021). Es gibt bereits genügend Apps, die einen dabei unterstützen können. Studien konnten bestätigen, dass solche Apps schon in kürzester Zeit achtsames Verhalten fördern können und auch das Abschalten nach dem Arbeitstag erleichtern (Sandermann & Kurzenhäuser-Carstens, 2022).
Es mag auf den ersten Blick zwar paradox wirken, dass mehr Handyzeit tatsächlich zu mehr Achtsamkeit verhelfen kann. Doch, wenn solche Apps bewusst als Werkzeuge genutzt werden, können sie unser Wohlbefinden steigern. Entsprechende Anwendungen findet man unter dem Stichwort „Achtsamkeit“ in den App-Stores von Google und Apple.
Ständige Erreichbarkeit in der Freizeit
Auch außerhalb der Arbeitszeit, im privaten Kontext, spielt die ständige Erreichbarkeit eine Rolle. Wir können nicht nur für Arbeitgeber:innen, Kolleg:innen und Kund:innen erreichbar sein, sondern auch für Familie und Freunde. Durch die feste Integration von Smartphone und Social Media in unseren Alltag haben wir ununterbrochen die Möglichkeit, mit anderen zu kommunizieren.
Ein Begriff, der in diesem Kontext oft verwendet wird, ist „fear of missing out“ oder abgekürzt „FoMO“. Hierbei handelt es sich um die Angst, etwas zu verpassen, also die Angst, dass die anderen Spaß haben und positive Erfahrungen erleben, während man selbst abwesend ist (Scott & Woods, 2018).
„FoMO“ kann also einen starken Einfluss auf die Erreichbarkeit im privaten Kontext haben und sich auch auf das persönliche Wohlbefinden auswirken. Bewusstes Offline-Sein kann die Angst, etwas zu verpassen, stark reduzieren und die psychische Gesundheit verbessern (Brown & Kuss, 2020).
Fazit
Ständige Erreichbarkeit ist ein zunehmendes Phänomen in unserer Gesellschaft, das sowohl das Arbeits- als auch Privatleben beeinflusst. Während digitale Kommunikationsmittel und flexible Arbeitszeiten mehr Autonomie ermöglichen, sind sie gleichzeitig für eine Vermischung von Arbeit und Freizeit verantwortlich, was mit einer großen Belastung einhergehen kann. Psychologische, gesundheitliche und soziale Folgen, wie Stress, Schlafprobleme und eine gestörte Work-Life-Balance, können auftreten.
Um negative Auswirkungen zu minimieren, sind klare Regeln zur Erreichbarkeit, bewusste Offline-Zeiten (Digital Detox) und Maßnahmen wie Achtsamkeitstraining essenziell. Diese Strategien helfen, Grenzen zu setzen, besser abzuschalten und langfristig das Wohlbefinden zu fördern – sowohl im beruflichen als auch im privaten Kontext.
Quellen
Althammer, S. E., Reis, D., Van der Beek, S., Beck, L. & Michel, A. (2021). A mindfulness intervention promoting work–life balance: How segmentation preference affects changes in detachment, well‐being, and work–life balance. Journal Of Occupational And Organizational Psychology, 94(2), 282–308. https://doi.org/10.1111/joop.12346
Brown, L. & Kuss, D. J. (2020). Fear of Missing Out, Mental Wellbeing, and Social Connectedness: A Seven-Day Social Media Abstinence Trial. International Journal Of Environmental Research And Public Health, 17(12), 4566. https://doi.org/10.3390/ijerph17124566
Dettmers, J. (2017). How extended work availability affects well-being: The mediating roles of psychological detachment and work-family-conflict. Work & Stress, 31(1), 24–41. https://doi.org/10.1080/02678373.2017.1298164
Eurofound (2023), Right to disconnect: Implementation and impact at company level, Publications Office of the European Union, Luxembourg
Gaudiino, M. & Di Stefano, G. (2021). To detach or not to detach? The role of psychological detachment on the relationship between heavy work investment and well-being: A latent profile analysis. Current Psychology, 42(8), 6667–6681. https://doi.org/10.1007/s12144-021-01958-3
Gesundheitskasse, A.-. D. (2020, 19. August). Ständige Erreichbarkeit – Tipps für den Umgang. AOK - die Gesundheitskasse. https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/gesund-im-job/staendige-erreichbarkeit-tipps-fuer-den-umgang/
Hassler, M., & Rau, R. (2016). Ständige Erreichbarkeit: Flexibilisierungsanforderung oder Flexibilisierungsmöglichkeit. Wirtschaftspsychologie, 2, 25-34.
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Mellner, C. (2016). After-hours availability expectations, work-related smartphone use during leisure, and psychological detachment. International Journal Of Workplace Health Management, 9(2), 146–164. https://doi.org/10.1108/ijwhm-07-2015-0050
Park, J., Kim, S. & Lee, H. (2019). Effect of work-related smartphone use after work on job burnout: Moderating effect of social support and organizational politics. Computers in Human Behavior, 105, 106194. https://doi.org/10.1016/j.chb.2019.106194
Sandermann, J. & Kurzenhäuser-Carstens, S. (2022). Interventionsstudie: Einfluss von appbasiertem Achtsamkeitstraining auf Gesundheit und Wohlbefinden von Berufstätigen. In FOM-Edition (S. 143–177). https://doi.org/10.1007/978-3-658-35831-0_6
Scott, H. & Woods, H. C. (2018). Fear of missing out and sleep: Cognitive behavioural factors in adolescents’ nighttime social media use. Journal Of Adolescence, 68(1), 61–65. https://doi.org/10.1016/j.adolescence.2018.07.009
Sharma, A. K. & Sharma, R. (2024). Detox for Success. In Advances in marketing, customer relationship management, and e-services book series (S. 71–90). https://doi.org/10.4018/979-8-3693-1107-3.ch006
Sonnentag, S., & Fritz, C. (2015). Recovery from job stress: The stressor‐detachment model as an integrative framework. Journal of organizational behavior, 36(S1), S72-S103.
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Taferner, I. (2018, 26. Juni). Ständige Erreichbarkeit – Was musst du wirklich? StepStone. Abgerufen am 16. Dezember 2024, von https://www.stepstone.at/Karriere-Bewerbungstipps/firmenhandy-immer-erreichbar-sein/#St%C3%A4ndige%20Erreichbarkeit:%20gesetzliche%20Lage